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Alpen Flora

Flora Alpina

19.10.2016

»Ein ganz Gebirge scheint gefirneist von dem Regen, Ein grünender Tapet, gestickt mit Regenbögen«. Albrecht von Haller, 1729.

Bergwiese mit Paradieslilie,Schwefelanemone und Alpenrose

Bergwiese mit Rapunzel und Habichtskraut

Haller ist einer der wichtigsten Universalgelehrten seiner Zeit und Autor des Gedichtes »Die Alpen«. Mit seinen kunstvollen Reimen lenkt er als Erster den Blick weiter Kreise Europas auf die Schönheit des Schweizergebirges. Der strukturierten, vernunftbetonten, naturfeindlichen Welt des Rokokos überdrüssig, war er ein »Kulturaussteiger« wie man es heute wohl nennen würde. Das einfache Leben der Bergbevölkerung, inmitten der omnipräsenten Natur übte auf ihn eine magische Anziehungskraft aus. Vielzeilig und kunstfertig pries er das harte Leben der Bergbauern. Dieses stand in eklatanten Kontrast zu demjenigen des gebildeten Publikums der Stadt Bern und Europas. Wie später auch Rousseau und andere mehr interpretierte er in dieses einfache bäuerliche Leben wohl eher seine Sehnsüchte und Moralvorstellungen, als dass seine Betrachtungen der Wirklichkeit hätten standhalten können.

Bei Haller war die imposante Gebirgslandschaft noch mehr der Rahmen, der Hintergrund zu seinen gesellschaftlichen, sozialen Betrachtungen über das Bergvolk. Erst bei Rousseau spielt die Landschaft eine Hauptrolle. Und doch: Hallers Natur- und Landschaftsbeschreibungen sind voller Ehrfurcht vor den wilden, in ewigen Gletschern gekleideten, himmelsnahen Berggipfeln. Mit dem Blick der heraufdämmernden Aufklärung beschrieb er als einer der allerersten, in seinem Geiste emanzipiert von den geltenden Gesellschaftsnormen, die Schönheit der Berge. Die Bildhaftigkeit seiner Sprache, wie sie in einzelnen Reimen hervortritt ist beeindruckend. »Ein grünender Tapet, gestickt mit Regenbögen« dichtete er beim Anblick der blühenden Bergwiesen.

Bergwiese mit Margerite und Sauerampfer

Seine Begeisterung über den Staubbach im Lauterbrunnental, fand den Niederschlag im Vers: » Ein Wandrer sieht erstaunt im Himmel Ströme fließen, Die aus den Wolken fliehn und sich in Wolken gießen«. Und was ich ein wenig hilflos versuche, mit meinem Bildern zu wiedergeben, erfasst Haller elegant und wortgewandt: »Wenn Titans erster Strahl der Gipfel Schnee vergüldet, Und sein verklärter Blick die Nebel unterdrückt, So wird, was die Natur am prächtigsten gebildet, Mit immer neuer Lust von einem Berg erblickt.«

Bergwiese mit Glockenblume und Habichtskraut
Bergwiese mit Weidröschen, Paradieslilie und Schwefelanemone
Bergwiese
Nelkenwurtz
Norwegisches-Ruhrkraut

Fast zweihundert Jahre früher, 1541, leuchtete die Schönheit der Alpen, wie das Morgenrot nach dunkler Nacht, schon einmal in die damalige gebildete Welt hinein. Zu einer Zeit, da kein Zweifel darüber bestand, die Gebirge seien ein Unort, wo sich allerlei schreckliche Dämonen und Fabelwesen tummelten. In einer Epoche, als die Katholische Kirche im Wallis, die Seelen der Sündigen, auf alle Zeiten ins ewige Eis des Aletschgletschers verbannte. Es brauchte auch hier einen freidenkenden, universal interessierten, weltoffenen Geist, der auch vor der Mächtigkeit des Hochgebirges bestehen konnte, um die Schönheit überhaupt zu sehen. Es war der Naturforscher und ebenfalls europaweit anerkannte, vielseitig interessierten Zürcher Gelehrte Konrad Gessner. Er schrieb: »Es ist eine fest beschlossene Sache, dass ich, solange mir Gott das Leben schenken wird, jedes Jahr die Besteigung einiger Gipfel machen werde oder doch zumindest eines von ihnen in der Zeit da die Bergflora in voller Blühten stehen wird, sowohl um diese zu untersuchen, wie auch um meinem Körper eine edle Übung zu verschaffen und eine Freude meinem Geist«. Das waren wahrlich revolutionäre Anschauungen wenn man bedenkt, dass die Alpen in weiten Teilen noch immer als »terra icognita« galten, als »Montis horribile«, wie die Römer sie schon nannten.

Glockenblume
Bergwiese mit Schafgarbe und Glockenblume
Löwenzahn

Bei der Entdeckung der Alpen spielte die Flora eine wesentliche Rolle. Man könnte sagen: Über das Studium der Blumenwelt, wurde die Schönheit der Berge entdeckt. Das rege Interesse für die ungemeine grosse Vielfalt der Blumenpracht stand sozusagen am Anfang der touristischen Entwicklung. Im ganzen Alpenbogen, von Wien bis Nizza, gibt es an die 4‘500 verschiedene Pflanzen. Nachzulesen im grossartigen, dreibändigen Lexikon »Flora Alpina«. Der ersten und einzigen umfassenden Enzyklopädie aller Pflanzen dieses weitläufigen Gebirgszuges.

Habichtskraut
Bergwiese mit Strauss-Glockenblume

Für mich sind die Alpenblumen ein kleines Universum für sich. Eine eigene Welt inmitten der »Eisgebirge«, wie der Geologe Gruner, vor fast dreihundert Jahren, die Alpen nannte. Ich weiss nicht jeden Namen der vielen Blumen, welche ich auf meinen unzähligen Wanderungen angetroffen habe. Doch bis auf ganz wenige Ausnahmen erinnere ich mich genau an den jeweiligen Standort der einzelnen Aufnahmen. Auch nach Jahren und Jahrzehnten. Und wenn es im Frühjahr gilt, wehmütig Abschied von den grossen, weissdurchflutenden, luziden Gletscher- und Schneelandschaften zu nehmen, tröstet mich der Gedanke an »ein grünender Tapet, gestickt mir Regenbögen«.

Bergwiese mit Alpenrose
Kranzdistel

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