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Skitouren

Vom Lötschental ins Lauterbrunnental

09.04.2017

Vier Uhr nachmittags. Gegen Süden erheben sich Riesengebirge von Cumuluswolken. Lautlos gleiten sie, wie auf einer an den vier Ecken der Himmelsrichtungen befestigten Glasplatte dahin. Schlösser mit Türmen, Ungetüme mit schrecklichen Rachen, tiefe Schluchten, lieblich aufgebauschte Landschaften, Lustgärten. Jedes Wolkengebilde ist eine Phantasiewelt für sich. Dazwischen schwebt der Frühlingshimmel wie ein leichtes, zum Trocknen aufgehängtes, weitgeschnittenes, blaues Sommerkleid.

Aussicht vom Tellingletscher auf die Walliser Alpen.

Darunter schimmern die Gipfel der fernen Walliser Viertausender herüber; allesamt Bergsteiger-Sehnsuchtsorte. Zwischen dem leicht cremig wirkenden Perlmuttweiss der fernen Schneeseiten und den strahlend leuchtenden Cumuluslandschaften sind Streifen von hellem Graublau; die flachgedrückten Unterseiten der vielgestaltigen Wolkenaufbauten.

Die Walliser Alpen.
Die Bietschhornkette.

Kurz nach 13 Uhr bin ich unten am Hockenhorn lostgefellt, zog meine Aufstiegsspur im lockeren Schritt und gutem Tempo über die von der Mittagswärme aufgeweichten Südhänge, entlang den lägen Bergseiten zum Petersgrat hoch. Weit und breit keine Menschenseele unterwegs. Nur die obligaten Bergdohlen, die mich bei einem kurzen Zwischenrast neugierig umkreisten. Die paar Tourengeher des heutigen Tages waren schon längst über alle Berge. Ich hätte es ihnen gleich getan, wären da in meinem Kopf nicht die paar Bilder vom hinteren Lauterbrunnental im späten Nachmittagslicht.

Das Bietschhorn, der schönste Berg der Alpen!

Breit und behäbig ruht der vergletscherte, flache Bergbuckel des Petersgrates vor mir unter der warmen Sonne. Rings um mich herum Licht und Schatten, Wolken, Horizonte, Berge, Gipfel, Grate. Gegen Süden fällt der Gletscher zum Lötschental ab, nördlich zum Gasteretal. Stehe direkt auf der Europäischen Hauptwasserscheide. Von hier fliesst das Wasser der Nordsee sowie dem Mittelmeer zu. Ich schliesse für einen Augenblick die Augen und versuche mir die grossen Flussmündungen von Rhone und Rhein vorzustellen. Wie muss es wohl sein dort zu stehen, wo diese Schmelzwasser in die Meere fliessen? Dort, bei den Gletscher zu verweilen - mit den vielen Erinnerungen an unvergessliche Tage und Touren - von denen das Wasser herkommt? Die Weiten der Meere, mit denjenigen der Gletscher und Gipfeln zu vertauschen?

Der Petersgrat.
Die Blüemlisalp.
Stehen, staunen, die Landschaft mit allen Sinnen aufnehmen, spüren und erfahren. Felle abziehen, im Rucksack verstauen, ein Schluck Tee, ein letzter Blick hinüber zum Bietschhorn. Mit kräftigen Stockstössen traversiere ich unter den Südwestgrat des Tschingelhorns, folge einer Mulde die sich hinunter zu den ersten, obersten Hängen senkt, male meine Spur in grossen, weitgezogenen Kurven auf die jungfräulichen Schneehänge. Momente der absoluten Leichtigkeit des Seins, sorglos, beinahe schwerelos, ganz im Hier und Jetzt.

Die ersten grossen Hänge unter dem Petersgrat.
Der Tschingelpass, dahinter die Blüemlisalp.

Viel zu schnell erreiche ich den Tschingelfirn. Grossartige, ein wenig bedrohliche, brodelnde Wolkenstimmungen über dem Mutthorn und der Blüemlisalpgruppe hinter mir. Darüber die tiefstehende Sonne. Warm leuchten die Felsen der Südwand des Gspaltenhorns im späten Nachmittagslicht. Schön, wie sie sich aus dem makellosen Weiss des Firnfusses in den Abendhimmel hoch steilt. Talauswärts, den Blick eingerahmt vom Südgrat des Tschingelrates, respektive von demjenigen des Nordgrates der Kanzel. Zwischen dem Rahmen die monumentale Kulisse der Nordwände des hinteren Lauterbrunnentals. Ein riesiges, hochalpines Gemälde.
Ich setze mich auf einen ausgeschmolzenen Stein, geniesse hungrig das arg verspätete Mittagessen, folge mit meinem Blick dem, auf den Bergflanken nach oben wandernden, Sonnelicht, betrachte die starke Höhenströmung im Himmel. Berate mich mit mir selber. Wird es noch - quasi als Zugabe - ein Abendrot geben? Der schnelle Wolkenaufzug von Westen spricht dagegen. So setze ich meine Abfahrt fort.

Gspaltenhorn, Tschingelgrat und Tschingelfirn.
Die Nordwände des Hinteren Lauterbrunnentals. Äbni Flue, Mittaghorn, Grosshorn.
Wolkenaufzug über dem Gspaltenhorn und dem Tschingelgrat.

Am Ende des Tschingelgletschers traversiere ich unter der »Nordostwand« der Kanzel durch, welche die Sicht gegen oben versperrt. Da der Schnee nun anspruchsvoller ist, konzentriere ich mich im Steilhang ganz auf das Skifahren. Erst wie das Gelände flacher wird schaue ich wieder umher und erschrecke gewaltig. Wie ein riesiger Koloss überragt mich die mächtige Nordwand des Breithorns. Ehrfürchtig und andächtig halte ich einen kurzen Moment inne.

Im Banne des Breithorns.
Schwarzmönch und Jungfrau.

Weiter unten überquere ich die Ebene des Oberhornsees, folge dem Weg Richtung Schmadrihütte. Doch anstatt aufzusteigen, nehme ich ein gut ausgeprägtes, breites Bergweidenband, traversiere leicht abfallend den anschliessenden, steilen Hang hinüber zum Schmadribach. Nur noch gerade heute reicht es, diesen auf einer eher zweifelhaften Schneebrücke zu passieren. Anstatt hinüber zur Breitlauenenalp, die schon schneefrei ist, fahre ich, immer der Nase nach, direkt zum Läger ab. Bis zum letzten Absatz vor dem Boden geht auch alles gut. Dummerweise entscheide ich mich dort taleinwärts abzusteigen. Wieder meinem ersten Impuls folgend, es talauswärts zu versuchen. Nach einer halben Stunde Hindernislauf durch den wilden Bergurwald sowie einem Skischuh voll Wasser, erreiche ich schlussendlich, etwas genervt, den Wanderweg. Gerade rechtzeitig für die letzten Bilder vom fahlen Abendrot über den Bergspitzen. Das vergängliche, zarte altrosa Licht versöhnt mich mit meinem Missgeschick.

Blick auf die Jungfrau vom Läger.
Gross und still ragen die mächtigen Bergtannen ins Abendrot.
Blick hoch zum Grosshorn.

Schnell sind die Skier auf den Sack aufgeschnallt, die Stirnlampe griffnah verstaut. Im Dämmerlicht setze ich meinen Tour, über den grösstenteils ausgeschmolzenen Bergweg hinunter zum Schürboden, fort. Dort das letzte Bild des Tages vom letzen Licht oben an der Jungfrau. Weiter talwärts geht es über Bletschi und Hanalp. Vor gut drei Wochen lag hier noch genug Schnee zum runterfahren. Wie ich Trachsellauenen, der einstmalige Bergwerkort, erreiche ist es tiefe Nacht. Bin froh um das Bike, das ich hier vor zwei Tagen deponiert habe. Beidseitig des hellen Lichtkegels der Stirnlampe, ziehen die dunklen Schatten der Bäume nun wesentlich geschwinder an mir vorbei. Der Rucksack drückt mittlerweile schwer auf den Schultern. Doch Kopf und Herz sind leicht und beschwingt, berauscht von den unvergesslichen Eindrücken dieser Tour.

Schwarzmönch und Jungfrau im letzen Licht.

Epilog:

Der grosse Reiz dieser Passüberschreitung liegt in ihrer landschaftlichen Vielfalt und Abwechslung und natürlich auch darin, dass der anstrengendste Teil des Aufstieges, von Wiler an den Südfüss des Hockenhorns, bequem mit der Bahn erreichbar ist. Die Reise beginnt im lichterfüllten, offenen Lötschental mit seinen sonnigen Talhängen. Dann geht's hoch zum weitläufigen, breitschultrigen Gletscherrücken des Petersgrates. Grosszügige Panoramaansichten wechseln sich hier mit interessanten Nahansichten ab. Über die, gegen Nordosten sanft abfallenden, schönen Skihänge, gelangt man anschliessend ins hintere Lauterbrunnental. Kleinräumiger, hochalpiner, auch dramatischer und schattiger zeigt sich hier die Landschaft. Bei der Oberhornmoräne - die Normalroute führt weiter unten über den Oberhornsee - ragen die vergletscherten Nordwände von Äbni Flue bis zum Breithorn im Halbkreis atemberaubend himmelwärts. Fast senkrecht fällt nun das Gelände an die vierhundert Meter hinunter zum Läger. Die Felswand wird über die Breitlauenenalp umfahren. Bei genügend Schnee und guten Verhältnissen ein weiterer toller Skihang. Unten angekommen, rücken die Bergseiten nahe zusammen. Der Weg führt dort wie ein »Schlupfloch« aus dem engen, tief eingeschnittenen Talgrund hinaus nach Trachsellauenen und Stechelberg.

Links das Nesthorn, steht auch auf meiner »bucket-list.« Rechts türmen sich die Cumuluswolken über dem Doldenhorn.

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