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Hochtour

Schnee

10.03.2018

Im vergangenen Sommer bin ich fast nie in den Bergen unterwegs gewesen. Zu deprimierend war der Anblick der schmelzenden, schmutzigen Gletscher, der grauschwarzen Firnfelder, der grossen, um sich greifenden Tristesse. Mit den ersten ergiebigen Schneefällen im Spätherbst verspürte ich jedoch von neuem die Sehnsucht nach Gipfeln und Graten. An einem prächtigen Nachmittag im späten Oktober packte ich meine Skitourenausrüstung zusammen. Früh am nächsten Morgen bestieg ich im Tal den Zug Richtung Jungfraujoch.

Oben angekommen eilte ich mit raschen Schritten, voller Vorfreude, wie ein Kind am Weihnachtstag, durch die Stollenanlagen dem Ausgang zu. Gleissendes Licht, weiss verschneite Flächen und ein blauer Winterhimmel begrüssten mich. Die Welt war wieder in Ordnung! Seither bin ich ein paar Mal Richtung Oberes Mönchsjoch und dem Ewigen Schneefeld unterwegs gewesen.

Der Jungfraufirn, am Horizont das Aletsch-, Gletscher-, und Rottalhorn.

Weisse Landschaften machen süchtig. Insbesondre diejenigen des winterlichen Hochgebirges. Die Luft ist klarer als im Unterland, das Blau des Himmels oftmals ungetrübt und rein. Das winterliche Schneeweiss strahlt zudem Reinheit und Frieden aus, besänftigt Gedanken und Gemüt. In unserer Kultur steht die Farbe für Unschuld und Jungfräulichkeit. Für die Menschen im fernen Osten verhält es sich jedoch gerade umgekehrt. Hier steht Weiss für Sterben und Tod. Eine gar nicht so abwegige Auffassung, geht es mir durch den Kopf. Denn auch der Tod ist vielleicht „nur“ eine erneute Rückführung in die Unschuld und Unversehrtheit.

Detail, Ewig Schneefeld.

Grosse Gedanken unter einem horizontberührenden Blaugewölbe. Leise, wie Schneeflocken, rieselt aus diesem eine wohltuende Ruhe herab, legt sich wie eine achtsame Hand auf meinen Scheitel. Ich neige den Kopf gegen hinten und tauche in den Himmel ein. Tief in mir drinnen spüre ich die Sehnsucht nach Freiheit, nach endlosen Weiten, den Wunsch in diese hinein zu wandern.

Die grosse Freiheit.

In Bewegung sein. Als Fixpunkt die Horizontlinie. Ist sie erreicht, geht es weiter zur nächsten, zur nächsten, zur nächsten. Eine Reise ohne Ende. Vor meinem inneren Auge stelle ich mir eine schnurgerade Linie, einen Breitengrad, vor: Von mir weg in die Ferne, auf welchem ich entlang schreite; immer geradeaus, den Globus umkreisend. Und mir wird bewusst, dass ich schlussendlich, könnte ich es tun, wieder genau am gleichen Ort ankommen würde. Also auch wieder bei mir selbst. Egal wie weit ich reiste, am Ende träfe ich immer wieder auf mich. Da gibt es nicht mehr, jedoch auch nicht weniger.

Im Aufstieg zu der oberen Mönchsjochhütte.
Und immer weiter, der Sonne nach. Vor mir die Jungfrau.

Bei jedem Schritt nach vorne taucht der Ski aus dem pulvrigen Neuschnee, gleitet für einen kurzen Augenblick, fast schwerelos über die Oberfläche. Gemächlich, aus der Hüfte heraus, verlagere ich mein Gewicht nach vorne. Dabei versinkt er von neuem in der luftigen Leichtigkeit der Millionen von einzelnen Schneekristallen. Jeder in seiner Ursprünglichkeit ein sechseckiges Kleinod, jeder ein Unikat. Nun ziehe ich den hinteren Ski in einer ruhigen Bewegung nach. Dank der breiten Schaufel taucht auch er mühelos aus dem Meer von Kristallen auf. Meine Skier gleichen an der Wasseroberfläche schwimmenden Delfinen. Ein ebenmässiges, rhythmisches Auf und Ab, eine sanft schaukelnde Wiege für „body and soul“.


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